Einer der Sätze, den ich in Erstgesprächen mit meinen Klient:innen am häufigsten höre ist: „Mir fehlte immer die Disziplin, um wirklich etwas an meinem Essverhalten zu ändern und die Motivation, durchzuhalten“. Gerade wir Deutschen sind Meister der Disziplin und halten sie für eine unglaublich wichtige Tugend. Und es hört sich ja auch total logisch an: „wenn ich mich genau an die Vorgaben aus dem xy Buch halte oder immer ganz genau meine erlaubten Kalorien aufnehme, dann muss es ja klappen mit dem Abnehmen“. Wir denken, dass wir uns nur dazu zwingen müssten, immer gesund zu essen, kein Kuchen, keine Chips und bloß nicht nach 18 Uhr. Wenn wir nur stark, eisern und diszipliniert bleiben, dann muss das Ganze zwangsläufig zum Erfolg führen.
Ganz nüchtern betrachtet, ist das auch korrekt. Natürlich nehmen wir ab und fühlen uns fitter, wenn wir sehr gesund essen, keine Süßigkeiten, kein Fastfood und viel Obst und Gemüse. Wenn dieser Ess- bzw. eigentlich ist es eher ein Lebensstil, nicht dem entspricht, was wir wirklich möchten, wenn wir uns Tag für Tag zwingen müssen, gesund zu essen und den Genuss dabei außen vor lassen, dann ist das Vorhaben zum Scheitern verurteilt, weil Kopf und Herz nicht im Einklang sind. Wir handeln dann entgegen unserem eigenen Selbst und das macht das Ganze erstens wahnsinnig anstrengend und wird uns außerdem nicht sonderlich glücklich machen.
Warum sind wir undiszipliniert?
Wie kommt es jetzt aber dazu, dass wir uns etwas bestimmtes vornehmen und dies unbedingt erreichen wollen und uns dann die Motivation fehlt, das Ganze wirklich anzugehen? Denn auch das höre ich immer wieder: „Ich will ja abnehmen, aber mir fehlt die Motivation, dran zu bleiben“.
An dieser Stelle muss ich einmal Klartext sprechen und mit Sicherheit auch auf Widerstand stoßen: Wenn wir in unserem Leben etwas wirklich wollen, dann sind wir Feuer und Flamme und können es kaum erwarten, loszulegen.
Moment mal, wirst du jetzt empört denken. Was redet die da? Natürlich will ich was verändern, ich will nichts mehr als das!
Ich glaube dir, dass du das wirklich willst und du es kaum erwarten kannst, dein Ziel zu erreichen. Trotzdem ist wichtig, zu verstehen, warum dir Motivation fehlt und dazu kannst du dir folgende Fragen stellen:
- Möchte ich etwas ändern, oder bin ich von äußeren Meinungen, gesellschaftlichen Regeln oder Idealen gesteuert? Denke ich, dass ich das tun muss?
- Was brauche ich jetzt? Nicht in einem Monat, nicht in einem Jahr. Ist es gerade meine absolute Priorität mein Essverhalten zu verändern oder gibt es vielleicht andere Dinge, die im Moment viel mehr Aufmerksamkeit fordern (Entspannung, zwischenmenschliche Beziehungen, familiäre Themen, eine Änderung im Job etc.)? Wenn ich also immer wieder am Verändern meiner Essgewohnheiten „scheitere“, dann weil dies in diesem Moment vielleicht einfach keine Priorität hat und es andere „Baustellen“ in meinem Leben gibt, die angeschaut werden wollen. Und sei es nur, dass du deinen eigenen Bedürfnissen zu lange keine Beachtung geschenkt und keinen Raum gegeben hast.
- Habe ich den richtigen Weg gewählt? Hat dir deine beste Freundin den neuesten Diättrend empfohlen, mit dem sie ja so toll abgenommen hat? Redet gerade jeder in deinem Umfeld vom Intervallfasten, was ja so gesund ist und ganz leicht in den Alltag zu integrieren? (die Liste könnten wir unendlich fortführen). Frage dich, ob der Weg, wie du bspw. Gewicht verlieren möchtest, wirklich zu dir passt oder ob du dich von äußeren Meinungen beeinflussen lassen hast.
Ich bin mir sehr sicher, dass du bei mindestens einer der Fragestellungen stutzig wirst, wenn du sie dir in Ruhe und 100% ehrlich beantwortest.
Und dann kommt natürlich noch ein ganz wesentlicher Aspekt hinzu. Das hier soll nämlich kein „Wenn-du-nur-willst-kannst-du-alles-schaffen“ toxischer Bullshit werden…
Was verbirgt sich hinter dem ungünstigen Essverhalten?
Hierbei ist ganz besonders wichtig zu verstehen, dass hinter jedem Verhalten eine positive Absicht steht. Wir haben uns Verhaltensweisen angeeignet, weil wir etwas Positives damit bewirken wollen und dies zu erkennen ist manchmal gar nicht so einfach. Schon im Kindesalter entwickeln wir Strategien, die uns dazu dienen, uns in herausfordernden Situationen besser zu fühlen, z.B. Stress und Frust abzubauen, Langeweile zu vermeiden oder uns zu belohnen. Diese Strategien werden zu Gewohnheiten und verankern sich tief in unserem Nervensystem. Das Tückische daran ist, dass diese Strategien, die zu Gewohnheiten geworden sind, komplett unterbewusst ablaufen. Wenn wir also zum Beispiel in einer stressigen Situation zum Essen greifen, um uns zu beruhigen, dann läuft dieses auf Programm komplett auf Auto-Pilot. Wir sind uns gar nicht bewusst, dass wir gerade essen, um Stress abzubauen.
Die positive Absicht hinter dem Essen ist also in diesem Moment der Stressabbau und solange wir uns dessen nicht bewusst sind, werden wir mit Disziplin nicht viel dagegen ausrichten können, denn unser Unterbewusstsein ist immer schneller, als unser rationales Denken.
Es hat also absolut nichts mit fehlender Disziplin zu tun, wenn du immer wieder in Verhaltensmuster fällst, die dein Vorhaben behindern. Es sind einfach uralte Programme, die ablaufen, um etwas Positives für dich zu bewirken.
Wenn du also dein Essverhalten ändern möchtest, um Gewicht zu verlieren, dann ist es ganz besonders wichtig, herauszufinden, warum du isst (lies dafür gerne hier weiter.)
Frage dich also zusätzlich immer: Welche positive Absicht steckt hinter meinem Essverhalten? Damit kommst du auch zu Punkt 2 in der Liste oben. Frage dich, was du in diesem Moment wirklich brauchst. Ist es Verbindung zu einem lieben Menschen? Ist es ein Spaziergang an der frischen Luft? Ein lustiger Film? oder oder oder.
Ist Disziplin also völlig überflüssig?
Ganz klar NEIN! Auch wenn unglaublich viele Aspekte betrachtet werden müssen, wenn es an die Veränderung des eigenen Essverhaltens geht, so ganz ohne Disziplin geht es in meinen Augen auch nicht.
Im Gegenteil: ich bin selbst ein großer Fan von Disziplin, aber von der – wie ich es nenne – förderlichen Disziplin. Disziplin, die aus einem Mangel heraus entsteht, also weil wir denken, wir müssten schöner und schlanker sein, weil die Menschen in der Werbung schöner und schlanker sind, ist anstrengend und kann regelrecht krank machen.
Förderliche Disziplin ist die Disziplin, die uns für uns losgehen lässt. Die wir aufbringen, weil wir uns etwas Gutes tun wollen. Natürlich braucht es Disziplin, sich in die Küche zu stellen und Gemüse zu schneiden, anstatt eine TK Pizza in den Ofen zu schieben. Natürlich braucht es Disziplin, um nach dem Mittagessen 15 Minuten Spazieren zu gehen, anstatt wie auf Auto-Pilot an den Schreibtisch zurück zu keheren. Und natürlich braucht es Disziplin sich Gedanken, über den Speiseplan zu machen, anstatt immer schnell zwischendurch einen Riegel zu essen.
Eine weitere Frage, die du dir immer stellen solltest: Aus welcher Haltung heraus tue ich all das? Weil ich es FÜR MICH tun möchte oder weil ich denke, es tun zu müssen?
Der Streit zwischen Disziplin und Unterbewusstsein
Wenn wir etwas nicht auf die Reihe kriegen, neigen wir dazu uns selbst zu verurteilen. Wir gehen uns selbst auf die Nerven und rauben uns damit Zeit und Energie, weil wir nicht im Einklang mit uns selbst, unsere Bedürfnissen und Wünschen sind. Wichtiger als stur irgendwelchen Vorgaben zu folgen „weil man das halt so macht“ ist es also herauszufinden, was mir selbst in dem Moment gut tut, was mir wichtig ist und was gerade Priorität hat. Unser Unterbewusstsein will immer das Beste für uns. Das Unterbewusstsein lebt aber immer in den Gegenwart und kann nicht in die Zukunft planen. Wenn mein Körper also jetzt nach Stressabbau und Entspannung schreit, dann greift unser Körper auf die erlernten Strategien zum Stressabbau zurück, schneller als wir uns rational überlegen können, was jetzt für unser Vorhaben abzunehmen die beste Lösung wäre. Im Akutfall wird unser Unterbewusstsein immer schneller sein, als unser Verstand. Was wir also aktiv tun können, ist unserem Unterbewusstsein andere Strategien als das Essen beizubringen. Wenn wir gelernt haben, dass wir uns auf anderen Wegen helfen können, dann ist auch keine große Disziplin mehr nötig, um unser Ziel zu erreichen. Dann haben wir unseren neuen Weg verkörpert!
Der Grund, warum du es bisher nicht geschafft hast, dein Essverhalten nachhaltig zu verändern oder es dir so schwer fällt, dranzubleiben ist sehr wahrscheinlich nicht fehlende Disziplin. Der Grund warum du immer wieder in alte Muster fällst, ist, dass das Essen für dich die Strategie war, bestimmte schwierige Situation zu meistern, dich besser zu fühlen und unangenehme Gedanken beiseite zu schieben.
Die gute Nachricht ist, dass du daran arbeiten kannst und die wahren Ursachen für dein ungünstiges Essverhalten aufdecken kannst. Wenn du Unterstützung bei diesem Prozess benötigst, dann melde dich gerne bei mir und buche dir direkt einen Termin für ein kostenfreies Kennenlerngespräch. Im Gespräch können wir klären, wie ich dich unterstützen kann.